Von wegen Wunderwaffe
Digital Rights Management: Amazon übernimmt die Rolle des Innovators und verkauft in den USA MP3s aller großen Labels ohne Kopierschutz. Apple wird mit iTunes folgen und schon sind drei Viertel des weltweiten Marktes für bezahlte Musik-Downloads DRM-frei. So weit, so gut.
Wer sich jetzt übermäßig freut, hat meiner Ansicht nach das Grundproblem nicht verstanden. Es mag ja sein, dass “bereits 2005” in Studien ermittelt wurde, die Verkrüppelung der Audio-Files sei das größte Verkaufshindernis. Wenn mich jemand gefragt hätte, warum ich kein Apple-Kunde bin, hätte ich auch DRM als Antwort gegeben.
Das stärkste Argument gegen den bezahlten Download ist aber nicht DRM, sondern der Preis. Man muss sich vor Augen halten, dass Tauschbörsen zum Nulltarif mindestens die gleiche Auswahl bieten und ähnlich simpel in der Nutzung sind wie legale Alternative. Natürlich war es im Angesicht dieses Gegners immer schon völlig unsinnig, das eigene Angebot dann auch zu Lasten der zahlenden Kundschaft technisch einzuschränken, indem z.B. das Brennen auf CD behindert wurde. Die Musikindustrie hat erstaunlich lange für diese Einsicht benötigt.
Ein Grund für Euphorie ist das Ende von DRM deshalb noch nicht, ganz abgesehen davon, dass ich im Amazon-Angebot eher einen Testballon der Industrie sehe! Durch den Verzicht auf Kopierschutzmaßnahmen werden iTunes und Co. nämlich nicht mit Peer-to-Peer gleichziehen, sondern nur den Rückstand verringern. Eine Kombination von last.fm/YouTube/etc mit einer leistungsfähigen Filesharing-Plattform bietet das gleiche Maß an Inspiration, Beratung und Download-Komfort wie ein guter Shop. Und wie gesagt, P2P ist für den Endverbraucher gratis (wenn auch nicht legal)!
Wenn die Labels und Händler im Wettbewerb mit unkontrollierten Downloads vorankommen wollen, müssen sie am Preis ansetzen. Ein Shop könnte beispielsweise jedem Kunden erstmal 20 Alben völlig kostenlos zur Verfügung stellen. Will der jetzt das 21. Album herunterladen, muss er vorher für einen früheren Download zahlen. Alle paar Monate kann man diesen Zähler dann zurücksetzen, indem man die Downloads markiert, die man nicht mag und daher nicht bezahlen möchte. Die Unverbindlichkeit des Filesharings könnte auf diese Weise nachgeahmt werden: Man löhnt nicht 15 Dollar für die Katze im Sack, sondern lädt erstmal das komplette Werk bequem herunter.
Tragfähig wird das ganze Modell dann durch die Marktmacht einer Software, die wirklichen Mehrwert liefern muss.
Eine zentrale Anwendung, oder besser noch eine Website, muss drei Dinge parallel leisten:
1. Der spontane, kostenfreie Download eines Albums in Top-Qualität muss so selbstverständlich werden wie YouTube!
2. Jeder User muss indiduelle und mit redaktionellem Background ausgestattete Musik-Empfehlungen bekommen!
3. Die Zahlung muss ‘freiwillig’ (ich kaufe nur das, was ich mag) und unschlagbar bequem (1-Click) ablaufen!
Ich bin mir sicher: Wenn die Industrie die riesige Gruppe der Gratis-Downloader nicht mehr kriminalisieren und bekämpfen, sondern mit offenen Armen empfangen würde, könnte sie ihren Umsatz im Netz dramatisch steigern.
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Coffee and TV: Die Vergangenheit der Musikindustrie.
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