Sonntag, 19. September 2010Strom ist gelb, aber vor allem schwarzDemo am 18.09.2010. (cc) Fritztram @ flickr Gestern haben hier in Berlin sehr viele Menschen gegen die Pläne der Bundesregierung protestiert, die Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke je nach Baujahr um acht bis 14 Jahre zu verlängern. Führt man die bisherigen Daten fort, würden neuere Meiler wie das Kraftwerk Emsland damit bis zum Jahr 2034 laufen. (Wegen der Länge des folgenden Beitrags bitte ich um einen Klick -- und Entschuldigung!) Genauer gesagt soll die Laufzeitverlängerung aber nicht in Jahren, sondern in Terawattstunden erzeugter Energie festgeschrieben werden. Die genauen Zahlen pro AKW finden sich in Anhang B des Vertragsentwurfes, der zwischen Regierung und Energiewirtschaft ausgehandelt wurde. Sprich: Die Konzerne verpflichten sich, zusätzliche Abgaben zu leisten, und dürfen im Gegenzug noch wesentlich mehr Strom in ihren Kraftwerken erzeugen, wobei sie ordentliche Gewinne machen.
Die Fixierung einer Reststrommenge (im Gegensatz zu einer Zeitspanne) bedeutet: Die tatsächliche Laufzeit (in Jahren) der AKW ist unklar, denn schon jetzt laufen sie unter der maximalen Kapazität. Theoretisch könnte die Industrie ihre Kraftwerke auf halber Kraft und damit wesentlich länger laufen lassen. Wer Angst vor einem GAU hat, darf also nicht schon im Jahr 2020 und wahrscheinlich auch nicht 2034 aufatmen. Was sich allerdings recht gut vorhersagen lässt, ist die Menge des radioaktiven Mülls. Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt dazu: Unter den bisher gültigen Rahmenbedingungen wurde prognostiziert, dass bis 2040 rund 17.200 Tonnen Schwermetall an wärmeentwickelnden Abfällen anfallen werden. Dabei handelt es sich vor allem um abgebrannte Brennelemente aus Kernkraftwerken. Die nun von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung um durchschnittlich 12 Jahre führt zu einer Erhöhung auf insgesamt rund 21.600 Tonnen Schwermetall.Ich weiß nicht, warum die Frankfurter Rundschau dabei von einer “Verdreifachung” schreibt. Ich komme eher auf ein Plus von rund 26% gemessen an der ursprünglich prognostizierten Menge Müll durch Kernenergie in Deutschland, was natürlich auch eine Menge ist. Zumal noch ein größerer Batzen schwach radioaktiver Abfall hinzukommt und die Frage der Endlagerung weiterhin völlig offen ist. Sauer sind auch die kleineren Energieerzeuger, die angesichts des politisch versprochenen Endes der AKWs in andere Kraftwerke investiert haben und jetzt um deren Wirtschaftlichkeit fürchten: Nun bleibt die Vormachtstellung der Großen vorerst zementiert, und die Stadtwerke sehen milliardenschwere Investitionen gefährdet. Auf 4,5 Milliarden Euro schätzt der Chef des Darmstädter Versorgers HSE und Sprecher von acht großen Stadtwerken, Albert Filbert, den Schaden für die kleinen Versorger. RWE-Chef Großmann meint dazu im SPIEGEL-Interview (Nr. 35/2010): “Kluge Stadtwerke haben sich abgesichert und solche Anlagen im Verbund mit großen Energieversorgern geplant.” --- So, das war meine kleine Zusammenfassung der Lage. Jetzt möchte ich noch erklären, warum ich gestern nicht demonstrieren war. Erstens finde ich die Debatte um die “bösen Konzerne” fehlgeleitet. Ausgangspunkt ist doch, dass der Staat einer Branche ein bestimmtes Produkt aus politischen Gründen verboten hat. Das ist demokratisch legitimiert und steht grundsätzlich nicht zur Diskussion. Die Konditionen sollen sich aber ändern, sodass EnBW, E.on, RWE und Vattenfall aus ihren AKW mehr Gewinn schöpfen werden. Allerdings werden sie für jede ab 2017 verkaufte Kilowattstunde einen “Förderbeitrag” in einen Fonds der Bundesregierung einzahlen. Dieser Fonds startet schon 2011 mit Vorauszahlungen der Konzerne auf diese Summe, dazu kommt noch die mögliche Sondersteuer von ca. 2,3 Mrd. Euro jährlich. Fazit: Der Staat räumt der Wirtschaft mehr Gewinn ein, lässt diese aber gleichzeitig die ambitionierten energiepolitischen Ziele (mit)finanzieren. Überhaupt, Energiepolitik. Im Moment wird Strom in Deutschland so erzeugt: Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft Im energiepolitischen Konzept der Bundesregierung heißt es, die Subventionen für die heimische Steinkohleförderung sollten gestrichen werden. Der Großteil der Steinkohle wird aber sowieso importiert, und von den (indirekten) Subventionen für die heimische Braunkohle ist gar keine Rede. Greenpeace schätzt, dass Kohle allein im Jahr 2008 mit ca. 13 Mrd. Euro gefördert wurde. Fassen wir zusammen: Deutschland ist der größte Förderer von Braunkohle weltweit, Braunkohle ist der klimaschädlichste Energieträger, Braunkohle deckt ein Viertel unseres Bedarfs zur Stromerzeugung. Schauen wir uns an, was das Konzept der Bundesregierung über das Jahr 2030 sagt. (Zur Vereinfachung betrachte ich nur den Stromverbrauch. Bei der gesamten Energie inkl. Wärme und Kraftstoff sieht die Lage noch viel düsterer aus!) Der Stromverbrauch insgesamt soll um 10% sinken. Wenn wir also einfach aufhören würden, Steinkohle zu importieren und zu verbrennen, entspräche das vielleicht ungefähr der (erhofften) Einsparung durch technischen Fortschritt und so weiter. 50% der Stromerzeugung soll aus erneuerbaren Energien erfolgen. Ausgehend von 540 TWh insgesamt (vgl. die obere Grafik, minus 10%) wären das also 270 TWh. Aktuell liefern die Erneuerbaren 93 TWh. Deutschland muss die Kapazität aus Erneuerbaren verdreifachen und dabei andere Stromerzeuger in der Größenordnung des kompletten heimischen Braun- und Steinkohle-Bergbaus ersetzen, um den gewünschten Anteil an Strom aus Erneuerbaren zu erreichen und die Treibhausgas-Emissionen einigermaßen nach Plan senken zu können! Ich weiß nicht, wie das überhaupt gehen soll. Aber ohne Atomstrom geht es noch weniger, fürchte ich. Hoffen wir, dass die Milliarden aus dem Energie-Fonds sinnvoll eingesetzt werden: Ein blödes Endlager finden und CCS erproben. Sexy Themen: Windenergie fördern, ein Gleichstrom-Netz durch Europa bauen, Solarstrom aus Afrika holen. Und das wichtigste nicht vergessen, nämlich die Effizienz: Sanieren und Dämmen, Industrieanlagen erneuern, Verkehr und Transport überdenken. Dafür sollte mal jemand demonstrieren. |
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Wir können uns da gern nochmal weiter drüber unterhalten...ich habe jetzt kein bock mehr zu schreiben Rechtschreibfehler dürfen behalten werden...
Bedeutet das nicht, dass viel der neuen EE-Kapazität mittelfristig nicht “auf sich allein gestellt” zur Deckung der Grundlast eingesetzt werden kann? Oder ist das Argument, dass Wind+Gas (je nach Wetter) die AKW ersetzen sollten? Da wäre es m.E. sinnvoller, die Kohle vom Netz zu nehmen. Erstens ist das Zeug ineffizient, zweitens weiß man nie wozu es später noch gut sein könnte, z.B. wenn mal das Öl alle ist. Die AKW hingegen produzieren eine Menge Gewinn und Steuermittel, die letztlich nicht schaden werden (zumal die Subventionen für EE in der Summe jedes Jahr teurer werden, oder?)...
Des Pudels Kern ist wohl, wie man das Risiko eines großen Störfalls und die Atommüll-Frage einschätzt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir an dieser Stelle keinen Konsens erzielen werden
Ich denke dass die Erneuerbaren Energien definitiv mit entsprechendem Ausbau von Netzen und Speichermöglichkeiten auf sich allein gestellt funktionieren können. Sämtliche fossilen und nuklearen Energieträger müssten nun schrittweise auslaufen bis die Erneuerbaren komplett übernehmen. Die berühmte “Brücke in Zeitalter der Erneuerbaren”, die die Atomenergie dar stellen soll funktioniert nicht aufgrund des genannten Systemkonflikts. Bis zur Umstellung auf die Erneuerbaren können Gaskraftwerke Fluktuationen in der Stromversorgung ausgleichen. Langfristig sind aber auch diese m.E. nicht mehr notwendig.
Ich verstehe die Reaktion, vor allem unter aktuellen Klimadiskussionen, dass man für ein Abschalten von Kohle vor Atom ist. Ich halte aber Atomenergie in keinerlei Form für günstig. Klar sind die aktuellen Atommeiler abgeschrieben und produzieren deshalb eine Menge günstigen Strom. Jedoch kommen Kosten wie Sicherheitsaufrüstungen und sämtliche Endlagerkosten mit in die Rechnung mit rein (teilweise oder ganz vom Steuerzahler aufgebracht). Der Staat subventioniert die Atomenergie auf vielfältige Weise. Am Besten ist, dass die Firmen die Atomkraftwerke nicht haftpflichtversichern müssen sondern dass der Staat dieses übernimmt (http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/atomkraft/FSSubventionen_der_Atomkraft.pdf)
Wie du schon im ersten Artikel geschrieben hast, wird selbstverständlich auch die Kohle in Deutschland gefördert und auch das kritisiere ich. Im Prinzip wäre eine Ausstiegsszenario für Kohle in näherer Zukunft genauso vonnöten. Im 100 % Szenario des Sachverständigenrat der Bundesregierung (auch mit der geschätzten Prof. Schreurs) würden die letzten Kohlekraftwerke in den 30ern abgeschaltet. Das halte ich für vertretbar.
Und im Endeffekt hast du schon Recht wenn du sagst, dass es dann darauf ankommt, wie groß man das Risiko ein Störfalls und der Atommüll-Frage einschätzt.
Was Frau Schreuers und Kollegen da über den Ausgleich der Fluktuationen bei den Erneuerbaren schreiben (S. 62 ff.) überzeugt nicht völlig, finde ich. Man müsse nur mal eben die Kapazitäten in Richtung Norwegen schnell und massiv ausbauen, dann ergänzen sich Pumpspeicher und deutscher EE-Strom perfekt. Ach so, und einige zusätzliche Gaskraftwerke wären auch nicht schlecht.
Dass es prinzipiell (d.h. mit sehr viel Geld und sehr viel politischem Willen und europäischer Koordination) möglich ist, relativ bald 100% grünen Strom zu haben - okay!
Dass es politisch vernünftig wäre und ökonomisch sinnvoll ist (und von mir als Lichtblick-Kunde auch unterstützt wird) - check!
Die Frage ist eben nur, ob eine Politik der kleinen Schritte und Zugeständnisse an die Energiekonzerne in diesem Fall die Vision kaputt machen und den Erfolg verhindern -- oder angesichts vieler Unsicherheitsfaktoren in diversen Szenarien nicht ganz unbegründet und vermutlich nicht allzu schädlich sind.
Schließlich ließe sich das Szenario mit Wind + Wasserspeichern auch in Ruhe testen und dann sukzessive (quasi AKW für AKW) erweitern. Von Beginn an wirtschaftlich wird es sowieso nicht sein, muss also so oder so politisch gesteuert werden.
Ach so, was die Kohle angeht, sieht es übrigens wieder mal düster aus. Da sind wir uns dann wohl einig: http://www.fazfinance.net/Aktuell/Wirtschaft-und-Konjunktur/Steinkohle-Ausstiegsplan-steht-auf-der-Kippe-RAG-Stiftung-mahnt-in-Berlin-Unterstuetzung-an-5000.html
Dein Argument mit den Zugeständnissen teile ich auch weiterhin nicht. Und einem Szenario wo du sukzessive die Atomkraftwerke abschaltest, je nachdem wieviel Erneuerbare dazu beitragen, wollen allein die Energieversorger nicht. Ein massiver Zubau an Erneuerbaren Energien führt definitiv zu Schwankungen in der Stromversorgung, die die Atomkraftwerke nicht ausgleichen können (o.g. Systemkonflikt). Das führt zu weniger Vollaststunden für die Atomkraftwerke was automatisch zu geringeren Einnahmen führt und ab einem gewissen Punkt rentieren sich Atomkraftwerke einfach nicht mehr. Von daher haben die Energiekonzerne ohnehin kein Interesse unter EE-Szenarien ihre Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Und jetzt müsste ich wissen was denn “(...) eine Politik der kleinen Schritte und Zugeständnisse an die Energiekonzerne (...), die ”nicht ganz unbegründet und vermutlich nicht allzu schädlich“ sein soll. Wie bereits erwähnt wird die Atomkraft gesetzgeberisch und finanziell bereits so angenehm wie möglich gemacht. Sogar der rot-grüne Ausstiegsbeschluss war für die Konzerne ungemein profitabel. Die Besteuerung und ”freiwillige Abgabe" halte ich, wie oben bereits dargestellt für nicht sonderlich hilfreich. Sie müsste schon höher ausfallen um solche Aktionen wie Asse auszugleichen. Und selbst bei dieser sehr moderaten Höhe fangen die Betreiber bereits an von einem Abschalten gewisser Anlagen zu sprechen. Ich frage mich in wie Weit sie reagieren würden wenn man mit höheren angemesseneren Forderungen kommen würden. Ich persönlich fänd es ja super wenn die Atomkraftwerksbetreiber mal sämtliche Kosten bis zur Endlagerunge übernehmen würden. Ich frage mich in wie weit dann noch Atomkraftwerke hier so unglaublich rentabel laufen würden.
Halbwegs witzig zu diesem Thema, auch wenn ich kein wirklicher Heute-Show-Fan bin: http://www.youtube.com/watch?v=thH1LMaizgY
Am Ende wird die Milchmädchenrechnung mit der Brennelementesteuer auch mal gemacht.