1. Weit über 60.000 Menschen haben eine Petition mitgezeichnet, die sich gegen die von Ministerin von der Leyen vehement geforderte aber
vermutlich nutzlose “Sperre” von kinderpornographischen Websites richtet. Trotzdem will die Regierung daran festhalten, ein jeglicher Kontrolle entzogenes Instrument der Zensur zu installieren, obwohl die Mehrheit der Sachverständigen dies ablehnt.
2. Während die “Killerspiel”-Debatte in Reaktion auf den “Amoklauf” in Winnenden erstaunlicherweise weniger lächerliche Ausmaße annahm als beispielsweise nach Erfurt, versucht sich die Bundesregierung gerade an einem Verbot von Paintball. Genau, diesem Geballer mit den Farbkugeln, das ohnehin nur Volljährige legal betreiben dürfen.
Das Waffengesetz wird nicht nennenswert verschärft.
3. FAZ, Zeit, SPIEGEL und Co. publizieren entweder entrüstete Kommentare der technikfeindlichen Kollegen, die Ignoranz und mangelnden Sachverstand zur Schau stellen, oder aber süffisante Texte, die den Zorn “der Internet-Gemeinde” beschreiben und dem besserwisserischen Staat Ignoranz und mangelnden Sachverstand unterstellen.
Letztere sind lesenswerter, aber in der Minderheit.
4. So manche Blogger und “Aktivisten”, die den Faden etwas weiter spinnen, diskreditieren sich durch einen allzu verschwörungstheoretischen Tonfall selbst. Dabei gilt es, die Stellvertreterdebatten beim Namen zu nennen, ohne gleich Orwell auszupacken:
- Natürlich bietet jede Form der Sperrliste eine ideale Grundlage, als nächstes gegen ärgerliche “Rechteverletzer” und “Piraten” vorzugehen! (Auf jeder Filesharing-Seite dürfte sich irgendwo Kinderpornographie finden lassen, sodass eine erneute Gesetzesänderung nicht einmal nötig wäre.)
- Natürlich ist es bequemer, mit ein bisschen Symbolpolitik die Gemüter bis zum nächsten “Amoklauf” zu beruhigen, statt Millionen von Waffenbesitzern und zigtausende Angestellte dieser Industrie ernsthaft zu verärgern. (Ärgerlich ist nur, dass eine Gelegenheit verpasst wird, irgendwas auch nur annähernd sinnvolles gegen die jährlich rund 38.000 “Straftaten nach dem Waffengesetz” zu tun.)
- Natürlich sind die Minister(innen) der aktuellen Generation weit davon entfernt, die Sorgen und Ideen der “Internet-Gemeinde” oder gar der digital natives für voll zu nehmen. Aber wieso sollten sie das auch tun? Jeglicher Beweis für das politische Gewicht dieser Gruppe steht noch aus und auch eine Petition ist kein wirklicher Durchbruch. (Was allein die hinterbänklerische Besetzung des entsprechenden Ausschusses im Bundestag deutlich macht.)
5. Aus all dem lässt sich für das Wahljahr 2009 meines Erachtens keine Konsequenz ziehen, da eine ernsthafte Alternative fehlt. Wer Blogs liest und Filesharing und Paintball aus eigener Anschauung kennt, tut im Moment vermutlich gut daran, eine gewisse Distanz und Ruhe zu bewahren.
Petition zeichnen, evtl. Abgeordnete anrufen,
interessante Analysen lesen und eigene Schlüsse ziehen.
Aktivist, Optimist oder Zyniker werden.
Irgendwann müssen wir dann die wirklich relevanten Debatten führen: Über das veraltete Urheberrecht, das in letzter Konsequenz eine ganze Generation kriminalisieren müsste, und über die Schusswaffen, die sich voraussichtlich auch in Zukunft nicht in einen
Teil der Lösung verwandeln werden.