Irgendjemand hat bei der kürzlichen Evaluation unserer Übung zu Internationalen Beziehungen geschrieben, das Thema sei langweilig und die Texte lese er sowieso nicht. Unabhängig davon, ob das Ernst gemeint war, kann die heutige Sitzung als Gegenbeispiel gelten. Auch wenn
ich den Text ehrlich gesagt nicht gelesen hatte.
Thema waren die Peacekeeping-Mission der Vereinten Nationen. Zunächst hielt sich die Spannung in Grenzen, des ging um lauter recht naheliegende Faktoren, die über die Entsendung von Truppen entscheiden sowie um die Frage, ob die Missionen überhaupt etwas nützen. Irgendwie haben wir es dann aber wieder mal geschafft, zu einer - wie wir immer so schön sagen - “normativen” Debatte zu gelangen.
Wie finden wir es eigentlich, dass arme Entwicklungs- oder Schwellenländer den Löwenanteil an
manpower für die UN-Mandate stellen, während der Westen sich vornehm zurückhält? Fakt ist nämlich, dass Italien mit rund 2500 Soldaten auf Platz 9 der Entsender steht - als bestplatzierte Industrienation. Rund 43000 Mann und damit etwas mehr als die Hälfte der Gesamtzahl senden die Top 8, bestehend aus Pakistan, Bangladesch, Indien, Nepal, Jordanien, Ghana, Uruguay und Nigeria. Ein Blick auf die
die monatlichen Berichte der UNO zeigt, dass diese Zahlen aus dem Oktober 2007 durchaus repräsentativ sind.
Sind 1121 deutsche Soldaten (Platz 19) also ein Indiz für die Kaltblütigkeit, mit der reiche Staaten es durch monetäre Ersatzleistungen vermeiden, das Leben ihrer Bürger für die gute Sache zu riskieren? Meiner Meinung nach ist am Unwillen reicher Nationen, Soldaten in Krisengebiete zu entsenden, praktisch nichts zu ändern. Das jetzige System hat einen Markt geschaffen, der es für arme Staaten attraktiv macht, die Zuschüssen der UNO zu kassieren und billige, schlecht ausgebildete Bewaffnete irgendwo in die Pampa zu schicken. Heute Mittag habe ich also gesagt, aus dem
status quo folge die Verpflichtung, den Blauhelmen “zweiter Klasse” eine vom Westen bezahlte und dortigen Standards entsprechende Ausbildung zukommen zu lassen. Erst wenn die Sterblichkeitsrate der Peacekeeper aus Pakistan nicht höher sei als die ihrer amerikanischen Kollegen (Platz 42), könnten die Industrienationen sich weiter mit einigermaßen ruhigem Gewissen vom Kampfeinsatz freikaufen.
Ganz abgesehen davon, dass mein Argument mit der Mortalitätsrate ein wenig kurzsichtig daherkommt, was die Möglichkeit eines Vergleiches angeht, bleibe ich bei dieser Meinung. Allerdings habe ich Widerspruch provoziert: Es sei nicht hinnehmbar, dass wir als Politik-Studenten und Wissenschaftler uns mit irgendeinem
status quo kritiklos abfinden. Vielmehr müsse das gesamte System reformiert werden, um eine wirklich faire Aufteilung der Kontingente zu erreichen und die Zweiklassenmentalität abzuschaffen. Wie so oft stellt sich also die Frage, ob sich mangelnde Gerechtigkeit überhaupt innerhalb eines per se ungerechten Systems bekämpfen lässt. Muss nicht jeder, der die Existenz eines “Marktes” für Peacekeeping-Truppen für verwerflich hält, zwingend das ganze System in Frage stellen?
Wie immer kamen wir zu keinem Konsens - aber was bleibt nun übrig von der viel zu kurzen Debatte? Erstens die Gewissheit, das richtige Fach zu studieren! Was kann wichtiger sein als Politik und was kann gleichzeitig mehr Spaß machen, als sich über wirklich relevante Dinge die Köpfe heiß zu reden?
Zweitens bleibt der Verdacht, dass die Profis aus dem Peacekeeping-Geschäft über so viel Idealismus (bei
allen Parteien in der Debatte) vermutlich nur müde lächeln würden.