Mittwoch, 9. Januar 2008Rundfunk im 21. JahrhundertBildquelle: Wikipedia Im Medienpolitik-Seminar hatten wir heute Gerhard Otte, den technischen Referenten der Bremischen Landesmedienanstalt, zu Gast. Unter dem etwas sperrigen Titel “Entwicklung der Rundfunkverbreitungswege” ging es um keine geringere Frage als die, wie wir alle in Zukunft Radio und Fernsehen empfangen sollen. Mittelpunkt der Debatte ist dabei die Digitalisierung: Techniken wie DAB (digitales Radio), DVB-T (digitales terrestrisches Fernsehen) und DVB-H (Fernsehen für tragbare Geräte, z.B. Handys) ermöglichen viele neue Anwendungen. Die Möglichkeit, zu jedem Song im Rahmen des visual radio auch das passende Bild auszustrahlen, beispielsweise CD-Cover, ist da eher wenig spektakulär. Viel wichtiger und lukrativer ist die so genannte digitale Dividende. Wenn nämlich statt der bisherigen analogen Kanäle auf den selben Frequenzen digitale, nach aktuellem Standard komprimierte Daten unterwegs sind, lassen sich deutlich mehr Sender verteilen. Die frei gewordenen Frequenzbereiche kann man dann neu verteilen, zum Beispiel an Mobilfunkanbieter, die liebend gern neue Dienste starten würden. Oder man vergibt Lizenzen für neue PayTV- oder anderweitig finanzierte Spartenkanäle. Problematisch an der schönen neuen Welt ist nur, wie immer, die Sache mit dem Geld. Neue Technik kostet erstmal eine Menge davon. Herr Otte nannte beispielsweise das Digitalradio DAB einen Flop: Obwohl die Industrie ausreichend Endgeräte bereitstellt und genug Sender vorhanden sind, wollen die Deutschen, anders als die Engländer, das digitale Radio einfach nicht ins Herz schließen. Rund 300.000 verkaufte DAB-Empfänger stehen über 300 Millionen normalen UKW-Radios gegenüber. Innovation gibt es also nur sehr schleppend. Welcher Politiker beschließt schon die Abschaltung des altmodischen UKW-Rundfunks, wenn dann jeder deutsche Haushalt Geräte austauschen muss? Einem vergleichbaren Problem stehen die Anbieter des digitalen Fernsehens gegenüber, selbst die mächtigen Kabelbetreiber konnten bisher nur 10% ihrer Kunden einen digitalen Receiver schmackhaft machen. Und woher mobile 3.0, das Konsortium für Handy-TV, seinen Optimismus nimmt, nachdem schon UMTS und DAB sich als Milliarden- oder zumindest Millionen-Gräber entpuppt haben, das konnte Herr Otte mir auch nicht erklären. Braucht er auch gar nicht, aus Sicht der Landesmedienanstalten geht es schließlich “nur” darum, eine einheitliche Regulierung zu schaffen. Ob die Verbraucher, also wir, überhaupt einen Bedarf an digitalem Fernsehen oder Radio haben, ist dann das Problem der Anbieter. Irgendwie müssen die Millionen nämlich verdient werden, sei es durch Bezahlfernsehen oder kostenpflichtige Dienstleistungen. Mein Sitznachbar in der Uni meinte nach Ende des Seminars jedenfalls: “Verdammt, ich hätte lieber noch weiter diskutiert.” Und er hatte recht. Persönlich bin ich sehr skeptisch, was die nahe Zukunft des digitalen Rundfunks angeht. Momentan gibt es konkurrierende Techniken und Geschäftsmodelle, von denen keine(s) ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal oder echten Mehrwert bietet. So lange das aber der Fall ist, dürfte die breite Masse kaum umschwenken. Das faszinierende an der ganzen Debatte ist: Medienpolitisch wird völlig ins Blaue geschossen! Öffentlich-Rechtliche Sender, private Programmanbieter, Gerätehersteller, Netzbetreiber und Mobilfunkanbieter wollen ständige Innovation, weil der Markt das scheinbar fordert. Gleichzeitig kann niemand verlässlich prognostizieren, was die Kunden (also der Markt) eigentlich wollen. Mittendrin tummeln sich dann Landesmedienanstalten und andere politische Akteure, immer eifrig am Regulieren und Planen. In den nächsten Jahren wird also erstmal munter ausprobiert ... |
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Aber ansonsten treffende Analyse. Am besten man schaltet alle Fernsehsender ab, alle Hörfunkprogramme und wir bringen uns die Nachrichten gegenseitig bei. Per Rauchzeichen.
Alles abschalten? Jedenfalls frage ich mich, wie sich die Nutzung der Informations- und Unterhaltungs-Kanäle über Zeit entwickeln wird. Aus meiner Perspektive verlieren TV und Radio rapide an Bedeutung, aber insgesamt bisher eben nur in sehr kleinem Maßstab. Ob wir wohl mit 30 plötzlich wieder anfangen, Zeitung und Tagesschau als primäre Nachrichtenquelle zu nutzen, weil wir die Schnauze voll vom Internet haben? Kanns mir kaum vorstellen ...