Wer in Deutschland eine C-Klasse von Mercedes Benz fährt, kann sich die passenden Alufelgen für 3,64 Euro monatlich finanzieren lassen (pro Stück, Laufzeit hab ich vergessen; gesehen in meiner Heimatstadt).
Bei RTL, dem quotenstärksten Privatsender, schauen momentan wöchentlich
über vier Millionen Menschen “Raus aus den Schulden”. Dort rät der Profi auch mal dazu, den teuren Fernseher
einfach vorm Gerichtsvollzieher zu verstecken.
Update: Ich habe inzwischen erfahren, das Verstecken NICHT vom Berater vorgeschlagen wurde, sondern eine Idee des Schuldners war! Danke für die Information.
Um die Glotze erstmal anzuschaffen, so ein riesiger Flachbildschirm kostet schließlich einiges, empfehlen die Volksbanken dann
EasyCredit. Mindestens so aufdringlich wie die Kollegen von
Credit4me locken die Banker ihre Kunden mit
platten Werbespots und dem Slogan “Das kann ich auch!”
Die Botschaft ist klar: Es ist völlig normal, Dinge auf Pump zu kaufen, die man sich eigentlich nicht leisten kann. Zwar ist kein Job mehr sicher und faule Immobilienkredite in den USA haben den Finanzmärkten weltweit die
größte Krise seit langer Zeit beschert, aber ein Darlehen “ganz ohne SCHUFA” findet sich problemlos im RTL2-Videotext. Oder in jeder Fußgängerzone, die oben erwähnten Marktschreier in Sachen Konsumentenkredit siedeln sich nämlich gerne direkt neben den Warenhäusern an.
1,6 Millionen deutsche Haushalte, die eine von der
Schufa in Auftrag gegebene
Studie für das Jahr 2006 als überschuldet identifiziert hat, dürften wohl nicht mehr zur Zielgruppe zählen. Pech gehabt, aber zumindest arbeitet das Kredit-Marketing daran, noch mehr Haushalte mit klammer Finanzlage in die Schulden zu locken. Damit aus einer peinlich berührten und im Fernseh-Zoo begafften Minderheit endlich eine solide Mehrheit wird!
Der nette Mann von RTL wird wohl noch lange auf Sendung bleiben.
So ist das Leben in der Wirtschaft, Willkommen!
Sollte die Politik nicht ein Interesse daran haben, Privatinsolvenzen und Überschuldung stärker zu bekämpfen, beispielsweise mit Einschränkungen für die Bewerbung von Konsumentenkrediten? Das Beispiel USA sollte doch abschreckend genug sein, außerdem zahlen Schuldner keine Steuern, belasten die Sozialsysteme etc.pp.
Sollten all jene, die langfristige, sinnvolle Kredite für den Hausbau oder andere Investitionen aufnehmen, sich nicht ärgern, dass sie quasi die hohe Ausfallrate der Subprime-Kredite mitfinanzieren?
Wie zum Teufel kann man die Mentalität der Leute so verändern, dass sie einfach mal einen gebrauchten Röhrenfernseher statt eines neuen Flachbildschirms kaufen, wenn sie nunmal kein entsprechendes Netto nach Hause tragen?
Das Problem ist doch, dass soziale Aufstiegsmöglichkeiten in Deutschland begrenzt sind, die Menschen aber gerne ihren Lebensstandard erhöhen würden UND ständig suggeriert wird, dass ein angenehmes Leben ohne diese oder jene Anschaffung nicht möglich ist. Die leichte Verfügbarkeit von Krediten ist dann ja nur der berühmte Tropfen, der das Fass...
Andere Überlegung: Sind Privatinsolvenzen wirklich so schlimm für den Staat? Schließlich wird doch das gros der Steuereinnahmen von einem Minimalteil der Bevölkerung erbracht. Wenn die Zahl der Steuerausfälle und sonstiger für den Staat entstehender Kosten signifikant hoch wäre, würde es wahrscheinlich Gegenmaßnahmen geben, oder?
Wie man die Einstellung “der Leute” ändern könnte? Weg vom Hype neuer Geräte (meines Erachtens eine systemimmanente Konsequenz der kapitalistischen Wirtschaftsordnung), weg von der Fokussierung auf materiellen Wohlstand (dieser Post-Materialismus den wir angeblich seit den 80ern haben anyone?) und den Leuten klar machen, dass 1000€ bar auf die Kralle und 1000€ auf Rate zu denen ich mich verpflichte gleichviel 1000€ sind. Ok, auf Rate zahlt man noch einmal nette Zinsen drauf aber das macht es eigentlich nur noch schlimmer.
Die verkaufenden Unternehmen haben kein Interesse dem Kunden dieses klar zu machen. Wenn er denkt 1000€ auf zwölf Monate verteilt wäre gefühlt weniger als 1000€ jetzt sofort geht doch jedem Manager einer ab. Weswegen steht wohl im Prospekt als Preis für die Ratenzahlung der monatliche Betragt (35€ pro Monat!) statt der “reale” Preis inklusive Zinsen (1100€! 100 mehr als per Barkauf!).
Ist das änderbar? Höchstens über die Wirtschaftskultur, aber die ist genauso schwamming zu beeinflußen wie die politische Kultur. Und es gibt immer den Anreiz nach unten auszubrechen um sich den Vorteil gegenüber allen anderen zu sichern. Institutionalisierung wäre das Stichwort, aber das schließt die liberale/soziale Marktwirtschaft irgendwie aus.
Post-Materialismus funktioniert jedenfalls nur dann, wenn man materiell ordentlich gepolstert ist. Hat schon einen Grund, dass die Grünen die Wählerschaft mit dem höchsten Durchschnittseinkommen haben (meinte Rudzio zumindest, glaube ich).
Ein bisschen “Wirtschaftskunde” o.ä. in der Schule (9. Klasse?) wäre vielleicht gut, für alle ohne kompetente Großväter. So ein hübsches Lehrbuch mit Texten wie “Frank und Anna haben 72.353 Euro schulden, wie viele Jahre müssen sie schuften, um wieder in den Urlaub flegen zu können?” wäre doch bestimmt hilfreich.
Institutionalisierung? Man könnte die Banken zwingen, strenge und einheitliche Maßstäbe bei der Kreditvergabe anzulegen. Würde allerdings bedeuten, dass der Zins quasi staatlich reguliert ist. Nein Danke.
Werde meinen Fernseher übrigens verkaufen. Ohne Raten, bin ja kein Halsabschneider.
Mathe hat eh jeder, das Problem ist eher dass anscheinend genug Leute zu blöd sind um ihr Wissen anzuwenden. Und Verantwortung zu übernehmen, für sich selbst (Verschuldung zu vermeiden) und für andere (das wären dann Bankmanager die so einen Mist tragen). Eine Unterrichtseinheit “Selbstbestimmtes, selbstverantwortliches Leben” täte da mehr als “Wirtschaftskunde”. Das klingt eh so distanziert von der Person.
Am einfachst ließe sich die Zielgruppe natürlich mit einem Kurs in der BILD erreichen!