Wer dachte, das Christival in Bremen sei eine höchst suspekte Veranstaltung gewesen, der kennt
The Call nicht. An meinem ersten richtigen Abend in Washington D.C. wurde ich gleich mal mit einer Seite der USA konfrontiert, die den meisten Europäer wohl äußerst fremd sein dürfte.
Bei The Call handelt es sich um ein konservativ christliches Event, dass das erste mal vor 11 Jahren in Washington D.C. stattfand. Dabei wird 12 Stunden lang gebetet, gepredigt und gesungen. 12 Stunden!! Man hörte es dem Hauptprediger auch deutlich an, dass er bereits hunderte Male zum Gebet aufgerufen haben muss.
In Mitten dieser riesigen Menge, die sich auf der Mall (dem riesigen Platz vor dem US-Capitol) versammelt hatte, standen wir vier Deutschen. Man kommt sich vor wie ein Spion, der seine Sache äußerst schlecht macht, wenn alle anderen um einen herum die Hände zum Himmel recken und nach Jesus rufen, während man selbst mit verschränkten Armen und kritischem Blick zusieht.
Vertreten sind dort allerdings nicht die üblichen Verdächtigen. Das Alter und die Herkunft der Teilnehmer ist so unglaublich verschieden. Auf der einen Seite singen und tanzen Mädchen in meinem Alter, auf der anderen Seite knien 40- jährige Männer betend auf dem Boden. Alles ist unwirklich friedlich. Auf Aufforderung des Predigers auf der Bühne, nehmen sich alle an den Händen oder umarmen sich.
Die typischen Themen durften bei dieser Veranstaltung natürlich auch nicht fehlen. Die Pro-Life Bewegung war durch die roten Aufkleber, die viele auf ihrem T-Shirt trugen, nicht zu übersehen. Homosexualität wurde als Sünde gebrandmarkt und man betete gemeinschaftlich für die Umkehr der Sünder. Ganz ohne Geld funktioniert dieses Riesenspektakel auch nicht. Eine Stunde vor Ende der Veranstaltung werden die Gläubigen dazu aufgerufen, Geld zu spenden. Praktischerweise liefen dafür auch gleich Leute mit Briefumschlägen durch die Gegend, die man bei Verlassen des Geländes abgeben konnte.
Für den ersten gemeinsamen Abend war das natürlich eine äußerst schwierige Diskussionsbasis und wir mussten wie sooft übereinkommen, dass man über Glauben nur schwer streiten kann. Persönlich sehe ich das ganze aber kritisch. Auch als gläubige Katholikin (ich oute mich hier wahrscheinlich nur für wenige) war mir diese Veranstaltung sehr suspekt. Ich finde es immer äußerst bedenklich, wenn Menschen ohne Verstand glauben, Prediger und Kirche nicht auch kritisch hinterfragen. Solch Massenbewegungen sind Europäern aus historischer Erfahrung heraus wohl generell eher befremdlich.
Das nächste Mal wird The Call in Californien zu Gast sein. Das ist einer der ganz wenigen Bundesstaaten, in denen Homosexuelle heiraten dürfen. Für The Call natürlich ein Grund zu handeln. Wer sich den Trailer zu diesem Massengebet anschauen will, findet ihn
hier.
Der Abend hat mir allerdings auch zwei Erkenntnisse gebracht:
1. Als Spion bin ich denkbar untauglich.
2. Meine Hausarbeit über die Abtreibungspille ist immer noch nicht fertig...
Abgesehen davon habe ich Angst, dass die Brüder und Schwestern nach 40 Tagen Gehirnwäsche ohne anständige Mahlzeit einfach anfangen, Homosexuelle an brennende Kreuze zu nageln oder sowas. Ich fand ja auch schon die Zeugen Jehovas im Stuttgarter Stadion furchterregend.
Den Spott amerikanischer Kommentatoren über die dümmlichen Deutschen bei Obama vor der Siegessäule ertrage ich jedenfalls viel gelassener, wenn ich solche Bilder sehe. Irgendwie sitzen wir also alle im Glashaus ...